Tennis:Der wilde Fall der Camila Giorgi

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Tutto bene? Wenn es nach Camila Giorgi geht, soll sich ihretwegen niemand sorgen. Aber einige haben zurzeit dennoch Fragen, etwa italienische Justizbeamte. (Foto: Vince Caligiuri/AP)

Gefälschtes Impfzertifikat? Karriereende Hals über Kopf? Steuerschulden? Flucht ins Ausland? Die italienische Spielerin Camila Giorgi gibt der Tennisbranche Rätsel auf - und inzwischen auch der Justiz.

Von Gerald Kleffmann

Camila Giorgi, 32, ist eine Tennisspielerin, die nie ein Grand-Slam-Turnier gewann, aber doch eine gewisse Berühmtheit in ihrer Sportart besitzt. Weil sie als eigenwillige Persönlichkeit gilt. Sie interagiert eher selten bis gar nicht mit Kolleginnen. Sie wird meist von ihrem argentinischen Vater Sergio als Trainer begleitet, der in seiner Schrulligkeit an die Paraderollen des Schauspielers Pierre Richard erinnert und selbst manches Mal in den Schlagzeilen stand, etwa wegen Steuervergehen. Sie postet auf ihrem Instagram-Kanal eher selten bis gar nicht Fotos mit Tennis-, dafür oft bis sehr oft mit Dessous- und Bikini-Bezug. Interviews gibt sie spärlich und wenn, nur knappe. 2018 saß Giorgi im Pressekonferenzraum in Wimbledon, der heiligsten Spielstätte ihrer Branche, und gestand: "Ich verfolge Tennis nicht, Frauentennis."

Das mochte bizarr klingen für jemanden, der in diesem Sport sein Geld verdient. Aber der Satz passte zu ihr. Sie tickt eben anders und bereichert die Profitour zweifellos auf ihre Weise, im Übrigen, nicht unwesentlich, mit gutem Tennis. Davon zeugen vier Titelgewinne auf der WTA Tour. 2018, in ihrer besten Saison, als sie in Wimbledon das Viertelfinale erreichte, war sie auf dem 26. Weltranglistenplatz. Sie kann draufhauen, obwohl nur 1,68 Meter groß.

Vier Titel, rund sechs Millionen Euro Preisgeld: Camila Giorgi war viele Jahre eine solide Spielerin, die mehr als 40 Mal bei Grand Slams im Hauptfeld stand. (Foto: Sydney Low/Newscom World/Imago)

Seit geraumer Zeit indes mutet nicht mehr alles im Leben der Camila Giorgi harmlos-kauzig an, vielmehr mysteriös und undurchsichtig, und zwar dergestalt, dass sich seit längerer Zeit die Justiz für sie interessiert. Mitte Juli muss Giorgi in Vicenza zu einer Vorverhandlung vor dem Untersuchungsrichter erscheinen und sich verantworten. Sie soll während der Corona-Pandemie mit gefälschtem Impfpass durch die Tenniswelt gereist sein. Damals bestand zum Beispiel auch bei der Einreise nach Melbourne zu den Australian Open die Auflage, dass jeder vorweisen musste, ein Vakzin gegen das Virus verabreicht bekommen zu haben.

Bei den Australian Open 2023 wurde Giorgi erstmals öffentlich mit Fragen zu den Vorwürfen konfrontiert, nachdem ihre Ärztin laut italienischen Medienberichten behauptet hatte, sie, Giorgi, habe ein gefälschtes Impfzertifikat angefordert. Bei dieser abermals denkwürdigen Pressekonferenz versicherte Giorgi, geimpft worden zu sein, allerdings wich sie wiederholt der Frage aus, ob sie sich gegen das Coronavirus hatte impfen lassen. Bis heute besteht dazu Klärungsbedarf, wobei die Akte Giorgi um einen zweiten Vorwurf angereichert wurde: Die Italienerin aus Macerata in den Marken soll ihrem Heimatland Steuern schulden, fast eine halbe Million Euro, wie die Gazzetta dello Sport berichtete. Es läge angeblich sogar ein Vollstreckungsbescheid vor, so weit ist der Fall gediehen. Auch ihre Eltern sowie ihre beiden Brüder hätten steuerlich "Lücken" vorzuweisen, hieß es. In ihrer Karriere verdiente Giorgi rund sechs Millionen Euro Preisgeld.

Ihr letztes Match bestritt sie am 23. März beim Turnier in Miami - Camila Giorgi verlor 1:6, 1:6 gegen Iga Swiatek

Fragen kann man Giorgi jedoch nicht, auch die italienischen Behörden sind dazu offenbar nicht in der Lage. Denn sie hat Hals über Kopf ihre Karriere beendet, der WTA dem Vernehmen nach Bescheid gegeben, dort alles geregelt - und ist seitdem regelrecht abgetaucht. So fragen sich Tennis wie Justiz gar: Wo ist Camila Giorgi überhaupt?

Spekuliert wird, dass sie sich in San Diego aufhalte, an der kalifornischen Küste soll sie einen Zweitwohnsitz haben. In den USA war sie auch, als sie ihr letztes Match bestritt. Am 23. März hatte sie beim Turnier in Miami 1:6, 1:6 gegen die Weltranglisten-Erste Iga Swiatek aus Polen verloren; in der Weltrangliste wird sie noch auf Platz 116 geführt. Das neueste Rätselraten um ihre Person nahm vor knapp einer Woche Fahrt auf, als einem britischen Journalisten aufgefallen war, dass Giorgi auf der Homepage der International Tennis Integrity Agency nunmehr als "im Ruhestand" gelistet wurde. Er veröffentlichte diese Nachricht auf X; die ITIA ist eine Agentur, die im Auftrag der Tennisinstitutionen das Verhalten der Profis überwacht und Fehlverhalten wie Wettbetrug oder Doping sanktioniert.

"Ich bin dankbar für eure wundervolle Liebe", teilt Giorgi bei Instagram mit

Drei Tage nachdem die Fachwelt verwundert das von Giorgi offiziell nicht kommunizierte Karriereende zur Kenntnis genommen hatte, meldete sich die Abgetauchte, über Instagram. "Ich bin glücklich, formell meinen Rücktritt vom Tennis bekanntzugeben. Ich bin dankbar für eure wundervolle Liebe und Unterstützung über so viele Jahre", teilte sie säuselnd mit. Hinsichtlich der Vorwürfe äußerte sie sich nicht, sie schrieb nur nebulös: "Es gibt viele ungenaue Gerüchte über meine zukünftigen Pläne", sie freue sich darauf, "mehr Informationen bereitzustellen." Sie schloss mit den Worten: "Mit viel Liebe, Camila."

Aber auch die zwei Herzchen-Emojis, die sie ans Ende ihrer kurzen Erklärung setzte, dürften nicht verhindern, dass das Rätselraten weitergehen wird. Es heißt, Giorgi habe mittlerweile ihre Telefonnummer geändert. Der Tennis Channel, der branchenführende Fernsehsender in den USA, versprach derweil, auch dranzubleiben an dem Thema. Schließlich habe der Giorgi-Fall das Potenzial, "die wildeste Tennisgeschichte 2024" zu werden.

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